Im November 1935 verhängt das Oberlandesgericht Darmstadt mehrjährige Zuchthausstrafen gegen elf Anarchosyndikalisten – unter ihnen Johann Dieter.
Johann Dieter wird am 10. Mai 1908 in Arheilgen bei Darmstadt geboren. Er erlernt den Beruf des Weißbinders (Maler) und schließt sich der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) an.
Nach der „Machtergreifung“ wird Dieter wegen des „Verdachts der Verbreitung illegaler Schriften“ am 26. Juni 1933 in das Konzentrationslager Osthofen verschleppt und dort für etwa eine Woche festgehalten.
Doch nach seiner Entlassung bleibt er nicht lange frei: Mehrmals werden Dieter und seine Mitkämpfer wegen „anarchosyndikalistischer Umtriebe“ verhaftet, misshandelt und in Darmstadt und Butzbach inhaftiert – bis schließlich die FAUD weitgehend zerschlagen ist.
Im November 1935 verhängt das Oberlandesgericht Darmstadt mehrjährige Zuchthausstrafen gegen elf Anarchosyndikalisten – unter ihnen Johann Dieter.
Am Tag seiner Entlassung aus dem Zuchthaus Marienschloß, es ist der 15. Juli 1937, holt ihn die Gestapo ab. Es folgen Jahre in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen, in denen er den Gewaltexzessen der SS, der Zwangsarbeit in Außenlagern und medizinischen Experimenten ausgesetzt ist. Nach seiner Befreiung am 5. Mai 1945 kehrt er in seine Heimat zurück, er heiratet und wird Vater von zwei Töchtern. In einem mehrjährigen Wiedergutmachungsverfahren wird ihm eine Entschädigung als politisch Verfolgter und eine kleine Rente zugestanden. Die lange Haftzeit – er war mehr als elf Jahre in Zuchthäusern und Konzentrationslagern – macht ihn zu einem Invaliden. Johann Dieter stirbt am 10. März 1971 in Darmstadt.
(Hannah H. – Bertolt-Brecht-Schule Darmstadt, BrechtGeschichtswerkstatt)
Wie lebt man mit einem Großvater, den man nie kennen lernen durfte?
Rainer Lind im Gespräch mit einer Enkelin – Auszüge aus dem Videointerview
„Wo ich immer wieder drüber stolpere ist, warum mein Opa, obwohl ich ihn nicht kannte, für mich eine so zentrale Figur ist. Das finde ich faszinierend, und das wurde jetzt natürlich wieder verstärkt. Vielleicht liegt es daran, dass ich, als ich klein war oder in meiner Jugend, schon immer irgendwie kreativ war. Mein Opa war das auch. Ich hatte auch immer so ein kleines Revoluzzer-Gen in mir. Meine Eltern, mein Vater und meine Mutter, haben immer gesagt: ‚Ach, du bist wie der Opa Hans, du bist genau wie er. Ihr beide hättet euch super verstanden. Der Hans Opa, der hätte mit dir gemalt, und dann hättet ihr euch zusammen hingesetzt…‘ Das haben sie immer so gepflegt und gehegt, das hat sich bei mir total fest verankert.
Ich habe oft gedacht, wenn ich mich als Teenager oder junger Mensch mal nicht so wohlgefühlt habe – was ja vorkommt, wenn man sich in der eigenen Familie manchmal total fremd fühlt, weil alle so anders sind – ‚Aber es gab ja jemanden, der mich verstanden hätte.‘ Das war für mich total wichtig, weil ich dann wusste, dass ich das nicht einfach von irgendwoher habe, sondern dass es anscheinend jemanden gab, der mir das irgendwie mitgegeben hat. Das finde ich wichtig zu erklären, weil man sonst gar nicht versteht, warum ich da so eine Intensität gespürt habe…
Und das mit der Sonne, weil du das vorhin erwähnt hast: Ich habe ja so ein paar Bücher von meinem Opa geerbt, und in einem dieser Bücher war eine Postkarte mit einem Gold-Sonderdruck, sie war echt schön gemacht. Da ist eine Sonne abgebildet und es steht darauf: ‚Möge Ihnen stets Sonnenschein beschieden sein.‘ Die hängt immer neben meinem Bett. Und deshalb habe ich auch diesen Anhänger so gern, weil eben auch so eine goldene Sonne ist.“