Philipp Reitz, am 17.05.1900 in Mainz geboren, wird am 10. Juli 1942 in seiner Zelle in der Untersuchungshaftanstalt Kassel tot aufgefunden. Am gleichen Tag, an dem der Strafsenat beim Oberlandesgericht in Kassel den überzeugten Antifaschisten zum Tode verurteilt.
1933 lebt der gelernte Schneider Philipp Reitz in Wiesbaden in der Schlachtstraße 5, gemeinsam mit seiner Frau Auguste und den Söhnen Theo und Günther. Er engagiert sich als Mitglied der Kommunistischen Partei in der Ortsgruppe Wiesbaden. Nach dem KPD-Verbot versucht Philipp Reitz über Flugblätter und Rundschreiben, die Menschen zu bewegen, sich dem Nationalsozialismus mittels „Massenstreik“ und „gewaltsamer Beseitigung der Regierung“ zu widersetzen. Über 300 Exemplare des Flugblatts „Luther haut ab, rettet Eure Hungergroschen“ und 57 Rundschreiben der Kommunistischen Partei liegen in der Steingasse 31, in der Wohnung von Frau Klör, zum Verteilen bereit, als er und der Dreher Adolf Schaus am 18.03.1933 von der Gestapo überrascht und verhaftet werden. Die Matrize für das nächste Flugblatt, „Parole zum Reichstagbrands“, ist bereits aufgezogen. Zum Abzug kommt es nicht mehr.
Am 21. März wird Philipp Reitz in das Gerichtsgefängnis Wiesbaden überstellt und verbringt dort die Untersuchungshaft. Die Anklage gegen Schaus und ihn lautet Vorbereitung zum Hochverrat. Er verteidigt sich, indem er die Herstellung der Flugblätter zugibt, aber von deren Inhalten keine Kenntnisse haben will. Am 26. Mai wird er zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt und zunächst in der Strafanstalt Hameln inhaftiert.
Zum Jahreswechsel wird er wegen „starke[r] Überbelegungen aller Anstalten“ des Bezirks um Hameln in das Gefängnis Frankfurt-Preungesheim verlegt. Dies kommt den Bittgesuchen seiner Frau entgegen. Nach über neun Monaten kann sie ihn nun erstmals wieder besuchen. Denn, während Philipp Reitz in Justizhaft in Hameln war, wurde am 04.11.1933 auch seine Frau in Wiesbaden festgenommen. Sie wurde wegen Krankheit zwar bald wieder entlassen, musste sie sich aber regelmäßig bei der Polizei melden. Außerdem konnte sie die Fahrt nach Hameln wegen ihres Gesundheitszustandes und ihrer beiden Söhne nicht antreten. Am 18.03.1935 endet die Haftstrafe von Philipp Reitz. Ihm wird bei Entlassung mitgeteilt, er habe sich innerhalb 24 Stunden bei der Gestapo zu melden. Das Urteil wird erst am 21. März 1950 aufgehoben.
„…nichts bleibt ewig, auch dieses Elend muss sich ändern…“
Die drei Briefe des Philipp Reitz, 1934 – abgefangen wegen „Formfehlern“ und „abfälligen Äußerungen“
Philipp Reitz schreibt aus dem Gefängnis Frankfurter Preungesheim im Jahr 1934 drei Briefe an seine Frau und seinen älteren Sohn, die wegen „Formfehlern“, also zu voll geschriebenen Seiten, und „abfälligen Äußerungen über Maßnahmen der Regierung“ einbehalten werden. Sie geben Einblick in seine Persönlichkeit und zeigen, dass er – obwohl in Haft – Informationen zur politischen und wirtschaftlichen Lage erhält und entschlüsselt.
Es spricht für seinen Mut, wenn er anlässlich der „Polit. Amnestie“ im Sommer 1934 schreibt, „Denke, was es den Staat gekostet, bis er uns alle so schön fest hatte, Denke, was er sich noch heute für Mühe mit uns Polit. macht!“, und die Entlassungen von „Schutzhäftlingen“ als Propaganda entlarvt. Denn sie „waren bei dem Versöhnungsakt (Hindenburgvermächtnis) nicht dabei! Nicht für Polit. Gefangene.“
Aktionen des Winterhilfswerks begegnet er mit Sarkasmus. Zwar freue er sich mit seiner Frau „über den Zentner Kartoffeln“, wüsste aber zu gerne, „wie hoch die Freude der Bauern ist, die sie spenden dürfen“. Immer wieder kritisiert er auch die Industrialisierung, konstatiert, die Not der Menschen halte „Schritt mit dem Fortschritt in Industrie und Technik“, und fragt: „2 ½ Million Erwerbslose, aber 15 Millionen durch Winterhilfe Unterstützte und wo ist das Ende?“
Auch Optimismus spricht aus seinen Zeilen. Denn er thematisiert immer wieder ein Ende des NS-Staats. Besonders deutlich formuliert er es mit folgendem Vergleich: „Man kann ein Haus auch nur bis zur bestimmten Grenze in die Höhe bauen. Unter Beobachtung der Gesetze der Anziehungskraft der Erde wird einmal das Höchste erreicht – überschritten muss es stürzen und neue Baumeister werden planvoll unter Beachtung der Ewigen Gesetze der Natur im Interesse aller von Neuen bauen. Nur Mut!“
Und es spricht für seine Fürsorge, wenn er seiner Frau Geld zukommen lässt oder versucht, sie mit den Worten zu trösten: „Liebe Frau, und nicht verzagen, 1000 sind in der gleichen Lage wie du, 1000 Männer ließen Familien zurück, der Gleichklang Tausender Empfindungen muss uns auch ein Trost sein.“
„Das Kartenspiel gewann immer mehr und mehr die Bedeutung einer Tarnung nach außen.“
aus der geheimen Anklageverfügung vom 06.07.1942
Nachdem Philipp Reitz am 18.03.1935 aus dem Gefängnis Frankfurt Preungesheim entlassen wird, nimmt er wieder Kontakt mit Personen im Widerstand auf. In Karl Kandler findet er eine Vertrauensperson. Dieser nimmt ihn ab 1936 zum wöchentlichen Kartenspiel und Austausch mit. Mehr und mehr wird das Kartenspiel zum Ort politischen Austauschs und kommunistischer NS-Kritik. Mit Reitz „verloren die Abende ihren harmlosen Charakter“, heißt es in der geheimen Anklageverfügung vom 06.07.1942. Und weiter: „Das Kartenspiel gewann immer mehr und mehr die Bedeutung einer Tarnung nach außen.“ Wie in seinen Briefen äußert Reitz wohl auch in dieser Runde Hoffnung, dass alles anders werde und der nationalsozialistische Staat gestützt werden könne. 1938 erweitert sich der Kreis ein weiteres Mal um den Dachdecker Julius Kilz. Ostern 1940 versuchen Reitz und Kandler sich mit Frankfurter Kommunisten zu vernetzen. Im Postamt 9 hat sich eine kommunistische Organisation gebildet und es beginnen Treffen zwischen ihnen und Reitz. Man fährt nach Frankfurt, trifft sich zu Spaziergängen, um sich auszutauschen, Ideen zu entwickeln, sich dem Willen zum Widerstand zu vergewissern. In der Anklageverfügung vom 6.7.1942 wird von einem „organisatorischen Zusammenhalt zum Umsturz“, dessen „Wortführer“ Reitz sei, gesprochen. Zu dem Zeitpunkt ist Philipp Reitz schon fast ein Jahr „aus politischen Gründen inhaftiert“. Seit 23.02.1942 beschäftigt sich die Generalstaatsanwaltschaft in Kassel mit der „Sache“.
Am 10.07.1942 sprechen die Richter des OLG Kassel ihr Urteil. Sie bewerten die Tätigkeiten von Philipp Reitz zwischen den Jahren 1938/9 und Frühjahr 1940 als Vorbereitung zum Hochverrat und verurteilen ihn zum Tode. Er überlegt, ein Gnadengesuch einzureichen. Noch am selben Tag wird er in seiner Zelle tot aufgefunden. Philipp Reitz hinterlässt seine Frau und seine Söhne Theo und Günther.
Quellen
HHStAW 409/4 Nr. 6100
HHStAW 518 Nr. 2787