SOGENANNTE SCHNEERÄUMAKTION

Seit 1933 ist Gewalt und Terror gegen Juden in Darmstadt sichtbar. Jüdische Familien werden wirtschaftlich ruiniert, sozial isoliert, stigmatisiert und diffamiert. Während der Novemberpogrome werden Inventar und Restbestände bereits geschlossener Geschäfte und Wohnungen zerstört und Männer als sog. „Aktionsjuden“ für einige Wochen in das KZ Buchenwald verschleppt. In Darmstadt folgen die Ghettoisierung in sog. „Judenhäusern“ und ab Winter 1939/1940 die Umsetzung des „Geschlossenen Arbeitseinsatzes“ – sprich: Zwangsarbeit. Damit beginnen in Darmstadt Prozesse der Vernichtung, Wege der Deportation. 
Doch in Darmstadt erleiden die Männer und ihre Familien nicht nur die entwürdigenden Zwangsarbeiten. Sie werden zusätzlich vom städtischen Aufseher terrorisiert und erpresst. Im Dezember 1940 stehen diejenigen, die unter dem städtischen Angestellten Friedrich Späth und seinen Erpressungen und Schikanen litten, als Mitangeklagte oder Zeugen vor dem Darmstädter Landgericht. „Späth und Genossen“ heißt der Prozess im NS-Jargon. Rekonstruieren lässt er sich nur lückenhaft. Die Prozessakte gilt als verbrannt. Berichtet wurde über ihn kaum.
„Prozesse der Entrechtung und Verfolgung. Die sog.`Schneeräumaktion´ und die Deportationen jüdischer Zwangsarbeiter 1941″ lautet der Titel der Erinnerungsarbeit, in der sich auch Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter Anleitung der Darmstädter Geschichtswerkstatt und der BrechtGeschichtswerkstatt dem Geschehens genähert haben. Denn, auch wenn mit dem Beginn der Deportationen im April 1941  Zeitzeugen und Egodokumente fehlen, ermöglichen Prozessakten und Zeugenaussagen nach 1945 eine Annäherung an das Unrecht, das ab 1940 den Familien in Darmstadt widerfuhr. Täterdokumente aus Konzentrationslagern zeigen in der ihnen eigenen Systematik und Semantik die Entindividualisierung der Menschen, ihre Deportationen und Ermordungen. Eine der überlebenden Ehefrauen thematisiert genau dieses Schweigen aufgrund Mord oder Krieg in einem ihrer Briefe.

Die Rechercheergebnisse

Die Ergebnisse der Projektarbeit können verschieden eingesehen werden. Am umfangreichsten bieten die Website Einblick in Biografien, Zwangsarbeit, Prozesse, Haftbedingungen, Deportationen und Ermordungen. Der etwa 20minütige Film enthält wichtige Zeitzeugenschaft aus den Quellen und wurde als Erinnerungsbeitrag für den Gedenktag am 27. Januar 2021 gemeinsam mit Rainer Lind erstellt. Der Artikel in der „Informationen“ – Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Widerstand – betont die neuen Erkenntnisse über die Situation in Darmstadt, die polykratischen Strukturen, aber auch die Vernetzung zwischen Beamten in Darmstadt und Konzentrationslagern; sprich: der SS, im NS-Staat. 
 >>>>> weiter zum Projektwebsite: Jüdische Zwangsarbeiter in Darmstadt
>>>>> weiter zum Film: Jüdische Zwangsarbeiter in Darmstadt
>>>>>informationen_92_Ohr / Ohr, Kirsti: Exzessives Täterhandeln in Darmstadt. In: Informationen 92 – Zeitschrift des Studienkreis Deutscher Widerstand, S. 34-38.
Stimmen zum Projekt (2020)
Karen Bergemann: Geschichte ist regional. Sie geschieht vor Ort, im Alltag und durch Archivalien kommt sie in unsere Zeit.
Karen Bergemann arbeitete zu Friedrich Späth.
Kirsti Ohr: Was können, was und wie wollen wir erinnern? Das sind die Fragen, die die Projektarbeit begleiteten und das Team immer wieder vor neue Herausforderungen stellten.
Kirsti Ohr, gemeinsam mit Bernhard Schütz, Projektleitung
Hannah Glaser: Das Projekt eröffnet einen neuen Blick auf Darmstadt, zur Geschichte der eigenen Lebensumwelt. Es entsteht Raum für eigene Perspektiven und Wahrnehmungen und so neue (außer)schulische Kommunikationsformen.
Hannah Glaser arbeitete zu Rudolf Adler.


Die Darmstädter Geschichtswerkstatt e.V. und die BrechtGeschichtswerkstatt möchten Jugendlichen und jungen Erwachsenen, über den Schulunterricht hinausgehend, die Möglichkeit geben, sich mit Geschichte vor Ort zu beschäftigen. Wir erinnern an historische Prozesse, Ereignisse und vor allem einzelne Biografien und Schicksale. Auf diese Weise kann ein Blick auf die Geschichte zu einem Einblick in Geschichte führen, wie die entstandenen Projektarbeiten (Website und Film) zeigen.



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