Demokratie steht in Großbuchstaben im Zentrum der fünfeckigen Sternskulptur des Walter-Lübcke Demokratiepreises. Freiheit, Heimat, Mut, Respekt und Toleranz füllen seine asymmetrisch angeordneten Zacken. Die Worte strahlen in alle Richtungen. „Können Sie sich damit identifizieren?“, fragt der Moderator Natalie Amiri während der Preisverleihung. Sie betont besonders den Mut, den es brauche, sich in Diktaturen für Freiheit, Respekt und Toleranz einzusetzen und die Sicherheit, die Demokratien der journalistischen Arbeit böten. Genau diesen Gedanken möchten wir aufnehmen. Wenn, braucht es „Mut“ zum Engagement, einen entschlossenen Schritt die private Komfortzone zu verlassen. Doch (unser) gesellschaftliches Engagement selbst als mutig zu bezeichnen, fällt schwer. Nehmen wir doch lediglich demokratische Rechte und Möglichkeiten wahr, wenn wir an den Mut erinnern und die Handlungsoptionen aufzeigen, die Menschen sahen, wahrnahmen und sich dem NS-Faschismus entgegenstellten – wissend dass dies die Gefährdung ihrer Freiheit, ihres Lebens, ihrer Familie und ihres Freundeskreises bedeutete. Immer wieder stoßen wir dabei auf Personen, die vor der Verfolgung ins Exil flüchteten, um dann dort gegen Faschismus und Nationalsozialismus zu kämpfen. Sie gaben die Zuversicht nicht auf, antifaschistisch wirken zu können und politische und gesellschaftliche Räume mitgestalten zu können. Heimat möchten wir daher nicht nur ortsgebunden verstehen, sondern im Verständnis des frühen republikanischen Liberalismus als Gefühl, sich zugehörig, zuhause zu fühlen durch einen von Toleranz, Respekt und Freiheit geprägten Umgang miteinander. Um sich zugehörig / zuhause zu fühlen, gehört auch wahrgenommen zu werden und partizipieren zu können. Aus dem Grund ist uns die Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein besonderes Anliegen. Die Projektarbeiten ermöglichen ihnen eine Autorenschaft und Erinnerungsarbeit aktiv mitzugestalten. Deshalb freut uns auch besonders, dass Frau Braun-Lübcke ihre Glückwünsche mit folgenden Worten verband: „Und wir wünschen, dass Sie viele junge Menschen erreichen und weiterhin viel Erfolg haben bei ihrem Wirken.“ Denn genau das ist, was wir uns auch wünschen, um wie sie zuvor schon betonte, durch den Blick auf historische Ereignisse für Demokratie zu werben.
„Wir können keinen großen Beitrag leisten, aber wir können etwas leisten“ Bernhard Schütz
„Historiker und Historikerinnen greifen natürlich zurück in die Geschichte,“ sagt Bernhard Schütz dann auch zu Beginn der Dankesrede, um gleich darauf zu konkretisieren: „Da haben wir einmal den Satz von Joseph Wirth, den er – in Anlehnung an den Satz von Scheidemann – Karl Helfrich im Parlament nach dem Mord an Rathenau, lange nach dem Mord an Erzberg, zugeworfen hat: „Der Feind steht rechts!“ Mit voller Wucht und sehr viel Wut habe Joseph Wirth diese „tiefe Warnung“ zu Beginn der Weimarer Republik formuliert und daran erinnere man sich natürlich, wenn man sich mit Walter Lübcke (CDU) beschäftige.
Der Kasseler Regierungspräsident wurde in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses im Wolfhagen von einem Rechtsradikalen aus nächster Nähe erschossen. Denn Walter Lübcke stellte sich gegen Populismus und Pegida, engagierte sich für Jugendarbeit, begegnete Geflüchteten offen und setzte sich für ihre Integration ein. Sein Tod ist ein Terrorakt von rechts. Das sind Parallelen in der Demokratiegeschichte Deutschland.
Bernhard Schütz hat nicht nur den Beginn der Weimarer Republik im Blick, er erinnert auch an Theodor Lessing, einen jüdischen Philosophen, der nach einem hindenburgkritischen Artikel immer wieder erneuten Hetzkampagnen ausgesetzt war und am 31. 8. 1933 im Exil von Nazis erschossen wurde. Auch hier könne man eine historische Parallele sehen, so Bernhard Schütz. Er habe sofort nach dem Mord an Walter Lübcke gedacht, „Erika Steinbach hat immer wieder Sachen online gestellt, quasi immer wieder daran gerührt, bis es dann geschehen ist.“
Danach geht Bernhard Schütz auf die Geschichte und das Team der Darmstädter Geschichtswerkstatt ein und arbeitet dessen Verpflichtung zur „Tradition einer kritischen Geschichtsvermittlung“ heraus. Schließlich bedeute kritische Geschichtsvermittlung und -recherche auch Gesellschaftskritik der Gegenwart. Einer Fragilität der Demokratie, wie sie in der Weimarer Republik bestand, vorzubeugen, sei gerade in der Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen ungemein wichtig. „Es geht uns also nicht nur um ein Erinnern an Biografien. Das wäre viel zu wenig. Wir müssen Biografien einordnen – in den Gesamtkontext. Und wir recherchieren natürlich nach Indikatoren.“ Wieder hat Bernhard Schütz ein Beispiel parat: die Boxheimer Dokumente, vor denen Leuschner gewarnt habe, die er öffentlich gemacht habe. Doch auf sie wurde nicht angemessen reagiert. Damit sind sie „das Beispiel für eine fragile Demokratie.“
In der Laudatio des Innenminister Roman Poseck heißt es: „Die Arbeit der Darmstädter Geschichtswerkstatt mit ihrer inklusiven Erinnerungskultur ist gerade in Zeiten von Krieg und wiederaufkeimenden Antisemitismus ein wichtiger Bestandteil zur Stärkung von Frieden, Demokratie und Offenheit. Ihr Engagement, das Bewusstsein für die Auswirkungen von Geschichte zu schärfen und das Verständnis füreinander zu fördern, macht sie zu einem unverzichtbaren Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft und ist dadurch ein würdiger Preisträger des Walter-Lübcke-Demokratie-Preises.“
Solidarische Erinnerungsarbeit, Geschichte als Verunsicherung seien besonders wichtig – gerade in der Arbeit mit Jugendlichen, sagt Bernhard Schütz in Anlehnung an Miriam Zadoff, Leiterin des NS-Dokumentationszentrum München, dann auch am Ende seiner Dankesrede. „Miriam Zadoff sagt Erinnerungskultur. Den Begriff Kultur vermeiden wir, weil es manchmal im Ritual verschwimmt. Wir kritisieren auch aktuelle politische Tendenzen, wenn Rhetorik von Rändern in die Mitte wandert und dort selbstverständlich weitergetragen wird. Oder – da wir uns auch viel mit Flucht und Exil, viel mit Widerstand, beschäftigen – von der Identifikation von Kriminalität und Flucht.“
Wir freuen uns über die Auszeichnung mit dem Walter-Lübcke-Demokratie-Preis und bedanken uns ganz herzlich für diese wertschätzende Anerkennung der jahrzehntelangen Arbeit der Darmstädter Geschichtswerkstatt und das damit verbundene Vertrauen in unsere kommenden Projekte. Besonders freute uns auch, dass so viele Vertreter*innen unserer teils jahrelangen Kooperationspartner (Arbeitskreis Stolpersteine, Bertolt-Brecht-Schule Darmstadt, Deutsches Polen Institut, Gegen Vergessen Für Demokratie, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Jüdische Gemeinde Darmstadt, Staatsarchiv Hessen, Regierungspräsidium Darmstadt, Volkshochschule) an der Preisverleihung teilgenommen haben und sich mit uns über die Auszeichnung freuten.
Die Verleihung des Walter-Lübcke-Demokratiepreises fand am 4.12.2024 im Darmstadtium in Darmstadt statt.
Hier der Link zum Einspieler, der auf der Preisverleihung gezeigt wurde, produziert von EyesOver – Kömmerling und Lich GbR im Auftrag der Hessischen Staatskanzlei. >>>>>Einspieler zur Darmstädter Geschichtswerk von EyesOver