„Wir feiern! 130 Jahre GALERIA Kaufhof“. So wirbt das Unternehmen auf seiner Homepage und in Prospekten. Und wer möchte an solch einem Jubiläum schon an etwas Schlechtes denken? Ein Grund zum Feiern bietet sich hier allerdings aus zweierlei Gründen nicht. Zum einen, weil das Unternehmen „Kaufhof“ gar nicht vor 130 Jahren entstanden ist, sondern vor gerade einmal 76 Jahren, im Juli 1933. Und zum zweiten ist die Geburtsgeschichte des Warenhauses mit dem heute allseits bekannten Namen alles andere als eine rühmliche.
Die Darmstädter Geschichtswerkstatt kritisiert seit Jahren die Jubiläumspraxis der Darmstädter Kaufhof-Filiale, welche stets das Jahr 1928 als Eröffnungsjahr des „Kaufhof“ in Darmstadt bezeichnet. Dass die Konzernleitung nun das Jahr der Gründung des Tietz’schen Textil-Geschäftes mit dem Gründungsjahr des „Kaufhof“ gleichsetzt, zeigt, dass offenbar dem ganzen Unternehmen ein ehrlicherer Umgang mit seiner Geschichte not täte.
Genauso fragwürdig ist die Tatsache, dass sich eine renommierte Regionalzeitung wie das „Darmstädter Echo“ an dieser Geschichtsklitterung beteiligt (Vgl. Artikel vom 19. Oktober).
Aus diesem aktuellen Anlass hier noch einmal die andere Geschichte des Kaufhof.
Aus „Leonhard Tietz A.-G.“ wird 1933 „Kaufhof“ – ein Arisierungsverbrechen
Eine Anzeige aus dem „Eberstädter Anzeiger“ vom August 1933 informiert:„Die Besitzverhältnisse und die Führung der Leonhard Tietz A.-G. haben in letzter Zeit eine grundlegende Änderung erfahren. Außerdem wurden Maßnahmen eingeleitet, welche die Angleichung der Betriebsführung an die Grundsätze nationaler Wirtschaftsführung erstreben.“ Als äußeres Zeichen dieser Änderungen habe die Generalversammlung am 11. Juli 1933 die Umbenennung der Firma „Leonhard Tietz A.-G.“ in „Westdeutsche Kaufhof AG“ beschlossen. Die Bevölkerung wird, so die Anzeige, gebeten, dem Unternehmen weiterhin Vertrauen zu schenken, das 13.500 Angestellten Brot und Arbeit gebe.
Hinter der damaligen Information samt Vertrauenswerbung verbirgt sich ein Fall politisch-wirtschaftlicher Großkriminalität: die gewaltsame und erpresserische Enteignung der ehemaligen Leonhard Tietz A.-G. durch die Nationalsozialisten und durch deutsche Großbanken.
- Die Leonhard Tietz A.-G. hatte ihren Sitz in Köln und verfügte über mehr als 30 Niederlassungen vor allem in westdeutschen Städten. 1928 eröffnete sie am Darmstädter Markplatz eine Filiale, als sie das dortige „Mainzer Warenhaus“ übernahm. Die Nationalsozialisten und ihre Kampfverbände hatten schon lange vor der Machtübernahme 1933 nicht nur generell gegen „die Juden in der Wirtschaft“, sondern ganz gezielt gegen jüdische Warenhäuser Hetzkampagnen geführt. Sie gelte es zu zerschlagen, weil sie den deutschen Mittelstand und Einzelhandel ruinierten. Deshalb wurde die Leonhard Tietz A.-G. – wie andere Kaufhausketten – ab März 1933 zur Zielscheibe organisierter Boykottaktionen und wirtschaftlicher Diskriminierung, die binnen kurzem zur faktischen Enteignung führten.
- Alfred Tietz, Sohn des Firmengründers Leonhard Tietz und maßgebliches Vorstandsmitglied, sah sich vor dem Hintergrund von SA-Terror gegen mehrere Niederlassungen und angesichts der Bankendrohung, sämtliche Kreditlinien zu kündigen, im April 1933 zum Rücktritt aus dem Unternehmensvorstand gezwungen, um die geforderte „arische Vorstandsmehrheit“ zu ermöglichen. Er und sein Partner Julius Schloss mussten ihre Aktien, deren Kurswert im Laufe der Hetzkampagne von 300% auf 11% gefallen war, an die neuen Mehrheitseigentümer verkaufen – sie hießen: Commerzbank, Deutsche Bank, Dresdner Bank. Innerhalb weniger Monate wurde Alfred Tietz mit Partnern und Mitarbeitern aus der Firmenleitung vertrieben. Er musste mit seiner Familie aus Furcht vor antisemitischen Aktionen nach Holland fliehen. Sechs Jahre später, wenige Wochen vor dem deutschen Einmarsch in Holland, konnte er mit Glück nach Palästina entkommen, wo er nur ein Jahr später starb.
- Die drei Großbanken beriefen für den 11. Juli 1933 eine letzte Hauptversammlung der Leonhard Tietz A.-G. ein und ließen dort den neuen Firmennamen „Westdeutsche Kaufhof Aktiengesellschaft“ beschließen, der Zusatz „vorm. Leonhard Tietz A.-G.“ wird nur kurze Zeit beibehalten. Die seit Juli 1933 bis auf den heutigen Tag verwendete Unternehmensbezeichnung „Kaufhof“ markiert die 1933 erpresserisch herbeigeführte „Arisierung“ des ehemaligen Kaufhauskonzerns Leonhard Tietz A.-G. Der Kaufhof-Konzern hatte nach 1945 hierfür an die Familie Tietz zwar finanzielle Wiedergutmachung zu leisten, rassistisch motivierte Enteignung und Vertreibung sind jedoch nicht ungeschehen zu machen.
- Soweit die heutige Darmstädter Kaufhof-Niederlassung in der Jubiläums-Werbung der zurückliegenden Jahre (1998: 70 Jahre Kaufhof Darmstadt; 2003: 75 Jahre Kaufhof Darmstadt, und wieder 2008: 80 Jahre am Standort) den Eindruck erwecken will, die Tradition des „Kaufhof“ in Darmstadt gehe auf das Jahr 1928 zurück, so ist dies wider besseres Wissen Irreführung der Öffentlichkeit, weil die Geschichte der fünf Jahre später erfolgten Arisierung der Leonhard Tietz A.-G. verschwiegen wird. 1928 eröffnete nicht der „Kaufhof“, sondern die Leonhard Tietz A.-G. ihre Filiale am Darmstädter Marktplatz, nachdem die das dortige „Mainzer Warenhaus“ übernommen hatte. Der Firmenname „Kaufhof“ ist das Namensschild einer besonders perfide betriebenen Enteignung.