Friedrich Diefenbach wird am 25. Juni 1896 in Mainz als Sohn von Wilhelm Diefenbach und Sophie Petry geboren. Sein Vater ist Schiffer, er selbst erlernt das Friseurhandwerk. Im Ersten Weltkrieg erleidet er 1916 eine erste Kriegsverletzung, als ein Schrapnell-Steckschuss seinen rechten Oberschenkel trifft.
Nach dem Krieg engagiert er sich politisch in der separatistischen Bewegung. Deren Motto Los–von–Berlin unterstreicht das Ziel, eine eigenständige Republik zu gründen. Im Oktober 1923 werden die Inflation und soziale Not infolge der Ruhrkrise als Initial genutzt, um öffentliche Gebäude zu besetzen und selbstständige Republiken auszurufen. Aber die Bevölkerungsmehrheit lehnt die Separatisten ab. In Mainz, wo Diefenbach lebt, können sich die Separatisten und ihre Republik – unterstützt von den französischen Behörden – noch bis Februar 1924 behaupten. Für Diefenbach bedeutet ihre Zerschlagung die Flucht nach Frankreich. Er geht nach Bordeaux.
In Frankreich lernt er vermutlich seine Frau Karoline (Lina), geb. Mann, kennen. Lina Mann wird am 20. Januar 1899 in Worms geboren und besucht von 1905 bis 1913 die Elementarschule. Sie zieht bereits 1914 nach Frankreich. Wie dort ihre schulische Bildung und Ausbildung weitergehen, bleibt unklar.
Karolina Mann und Friedrich Diefenbach heiraten und am 14. Februar 1927 wird in dem kleinen Ort Arces-sur-Gironde in Westfrankreich ihr Sohn Peter geboren. Sie haben noch ein weiteres Kind, dessen Name und Geburtstag allerdings unbekannt bleibt.
Nach 1933 leistet Diefenbach antifaschistischen Widerstand im Exil, indem er mit seinem Dienst in einer Sanitätstruppe den Kampf gegen die Franco-Faschisten unterstützt. Am 21. November 1936 durchschießt ein Infanteriegeschoss seine Brust und bleibt in seinem Rücken stecken. Es kann erst 1951 entfernt werden. Dies wird der Grund gewesen sein, warum Diefenbach bereits 1936 wieder in Frankreich, Bordeaux, lebt und sich als Friseur selbstständig macht – wie er in seinem Gesuch um Hilfe bzw. Ausreise nach Frankreich oder Südamerika im Mai 1949 angibt.
Doch Diefenbach kann nicht dauerhaft bei seiner Familie bleiben. Am 1. Juli 1940 besetzen NS-Truppen Bordeaux und er erhält von den deutschen Militärbehörden den Befehl, auszureisen und sich nach Darmstadt zu begeben. Hier lebt er bei seinem Bruder in der Bleichstraße 21 und arbeitet für kurze Zeit wieder in seinem Beruf. Doch am 16. April 1941 wird er von der Gestapo verhaftet und ist vermutlich zuerst den Haftbedingungen und Gestapobeamten im Gestapotrakt der „Strafanstalt“ in der Rundeturmstraße ausgeliefert. Diefenbach sieht seinen Kampf gegen den Franco-Faschismus als ursächlich für seine so beginnende jahrelange Schutz- und KZ-Haft. Denn die Darmstädter Gestapobeamten lassen Widerständler:innen in das KZ Dachau deportieren, in das neben Diefenbach auch andere sog. „Spanienkämpfer“ verschleppt werden.
Wann Diefenbach genau von Darmstadt in das KZ Dachau „verschubt“ wird, ist nicht dokumentiert. Auch ob er während dieses Transports aus einem Auto geworfen wird, bleibt unklar. Aber die Folgen der Misshandlung – ein komplizierter Bruch des linken Beins und eineinhalb Monate „Krankenhaus“aufenthalt – legen dies nahe. Außerdem wird Diefenbachs „Zugang“ nicht bereits Ende August verzeichnet, sondern erst am 26. September 1941, obwohl er wie der „rote Spanienkämpfer“ Peter Götz im April in Darmstadt verhaftet wird.
48 Monate „Schutzhaft“ in Darmstadt und Dachau überlebt Diefenbach. Einblicke in den jahrelangen Terror der KZ-Haft geben – kontextualisiert und entschlüsselt – die erhaltenen Täterdokumente. Schreibstubenkarte, Zugangsbuch und Effektenkarte verweisen auf die entwürdigende Prozedur, die Diefenbach bei seiner Ankunft widerfährt: die Registratur unter Nr. 27721, die Abnahme der persönlichen Gegenstände im Schubraum – der Kleidung, die er am Körper trägt, des Eherings, einer Taschenuhr samt Uhrenkette – sowie die anschließende Ganzkörperrasur im Häftlingsbad. Danach bezeugen bis April 1944 nur Eintragungen auf „Geldverwaltungskarten“ sein Überleben. Regelmäßig werden geringe Geldsummen eingezahlt und wieder abgehoben. Ab März 1943 werden etwas höhere Summen in der Effektenkammer verbucht. Ist Diefenbach zu der Zeit als Friseur tätig? Erhält er, wenn auch deutlich weniger als andere, Geld für diese Tätigkeiten? Oder hängen Zahlungen damit zusammen, dass ab Mai 1943 „Prämienzahlungen als Arbeitsanreize an ausgewählte Häftlinge ausgegeben“ werden? Dagegen spricht jedoch, dass in den „Namenlisten von wöchentlichen Geldanforderungen“ der Begriff „Prämie“ bei anderen Häftlingen explizit vermerkt ist. Bei Diefenbach finden sich lediglich parallele Einträge in den „Namenlisten von wöchentlichen Geldanforderungen“ und auf seiner „Geldverwaltungskarte“.
Noch ein weiteres Dokument ist erhalten: Am 27. Juni 1944 stellt Diefenbach als Capo (Funktionshäftling) den Antrag, seine Taschenuhr tragen zu dürfen. Gute zwei Wochen später notiert die SS in roter Schrift die Ausgabe der Uhr. Das Täterdokument ist also ein wichtiger biografischer Schlüssel, denn es verzeichnet seine Funktion im System des KZ-Terrors. Gleichzeitig erlaubt es noch keine Gleichsetzung mit einer „Täterschaft“. Vielmehr wirft es neue Fragen auf: Inwieweit sind jetzt Rückschlüsse auf eine „Privilegierung“ Diefenbachs zulässig? Welchen Stellenwert erhalten Artefakte in Situationen von Terror und Entindividualisierung? Übt er nun die gleiche Tätigkeit aus wie Friedrich Hoff, der 1943 als Capo für das „Kommando Friseure Sturmbann“ den Antrag bewilligt bekam, eine Armbanduhr zu tragen? Sind also die „Friseurstuben“, die Diefenbach angibt, gleichzusetzen mit dem „Kommando Friseure Sturmbann“? Doch warum erhält Diefenbach dann deutlich weniger Geldzahlungen als Friedrich Hoff und andere Friseure? Sprich: was sagt dieses Dokument über sein Handeln im System des Terrors überhaupt aus? Nutzt er vielleicht seine Funktion, um sich für andere einzusetzen? Gilt auch für ihn das den „Spanienkämpfern“ im Allgemeinen bescheinigte Verhalten von Zusammenhalt und Solidarität? Genießt auch er Ansehen unter den Häftlingen? Letzteres könnte aus der Eingabe an den „Ministre Des Armées“ von G[aston?] Houssier, selbst ehemaliger „Schutzhäftling“ in den KZ Dachau und Natzweiler, geschlossen werden. Denn er bescheinigt Diefenbach tadelloses Verhalten und bittet darum, ihn zukünftig zu unterstützen.
Spätestens als Friedrich Diefenbach in Deutschland inhaftiert wird, verlässt auch seine Frau Lina Frankreich und findet bis April 1945 in Marburg und Berlin Unterschlupf bei Bekannten. Gegen Kriegsende geht sie nach eigenen Angaben für einen Monat nach Paris. Nach 1945 zieht sie nach Kirchheim an der Eck (ab 1952 Kirchheim an der Weinstraße genannt) und lebt dort mit ihrem Mann, ihrem Sohn Peter und dessen Frau Elisabeth zusammen.
Das Ehepaar versucht in der Französischen Besatzungszone Fuß zu fassen. Friedrich Diefenbach arbeitet in einer Steingutfabrik. Doch gesundheitliche Beschwerden erschweren seinen Alltag. Etwa ein Jahr nach der KZ-Haft wird Diefenbach medizinisch untersucht und ein Zwölffingerdarmgeschwür festgestellt. Diefenbach datiert in Anamnesegesprächen den Krankheitsbeginn auf Sommer 1942. Gesund sei er von Frankreich nach Deutschland gekommen. Erst aufgrund der „übermäßig schlecht[en]“ Ernährungsverhältnisse im KZ seien die Magenbeschwerden in Form von saurem Aufstoßen, Druckschmerzen und Appetitlosigkeit aufgetreten. Aus Angst habe er sich nicht krankgemeldet. Ferner seien ihm während der Haft fünf Zähne gezogen worden aufgrund von Zahnfisteln. Erst durch „seine Verwendung in der Friseurstube“ habe sich seine Situation etwas verbessert.
1949 stellt die Familie dann das Hilfegesuch an die internationale Flüchtlingsorganisationen mit der Hoffnung, Deutschland verlassen und nach Frankreich oder Südamerika emigrieren zu können. Der Sachbearbeiter notiert zu Friedrich Diefenbach „allemand persécuté (?) mais non juif“ Sie bleiben in Kirchheim.
Januar 1950 wechselt Diefenbach seine Arbeitsstelle und erhält eine Stelle als Friseur in Ludwigshafen. Gesundheitlich geht es ihm nicht besser. 1951 folgen Operationen. Den Diefenbachs bleibt nichts anderes übrig, als weiter vor der Entschädigungskammer um ihr Recht zu kämpfen. Eine Haftentschädigung für 48 Monate wird Diefenbach zwar bewilligt, nicht jedoch sein Antrag auf Geschädigtenrente und Pflegezulage. Um dagegen klagen zu können, muss Diefenbach 1953 ein Armenrechtgesuch stellen. Nur so kann er den Rechtsbeistand erhalten, um vor Gericht weiter für Entschädigung und Rente aufgrund der Gesundheitsschäden zu kämpfen, die die KZ-Haft bei ihm verursacht hat.
Wie zynisch muss auf Diefenbach die zweimalige Ablehnung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen seinen Beschwerden und den „Widrigkeiten einer KZ-Haft“ seitens der Ärzte und des Gerichts gewirkt haben. Weder die Krankheitssymptome im Jahre 1942 noch seine Angst vor dem „Krankenrevier“ im Konzentrationslager Dachau werden ihm geglaubt. Seine Leiden nach 1945 seien „konstitutionell verankert“, schlussfolgert das Medizinische Gutachten, Heidelberg. „Magenbeschwerden, rheumatische Schmerzen im Rücken, Atmungsbeschwerden besonders bei anstrengender Arbeit“ werden somit nicht als Folge von KZ-Haft, Unterernährung und Terror gewertet. Außerdem wird auf die fehlende Krankmeldung hingewiesen und angenommen, er habe als „Capo in der Friseurstube gewisse Erleichterungen“ gehabt. So negieren Gerichte und Ärzte nach 1950 nicht nur die Zustände der KZ-Haft, sondern auch, dass das Krankenrevier unter KZ-Häftlingen als ein Ort des Sterbens und nicht der Heilung bekannt ist.
Ebenfalls kritisiert das Gericht – obwohl die politische Verfolgung Diefenbachs in diesem Verfahren gar nicht Gegenstand der Verhandlung ist – den ihm bereits attestierten Verfolgtenstatus. „Es mag sein, dass der Kläger eine gegen den Nationalsozialismus gerichtete politische Überzeugung hatte“, liest man in der Urteilsbegründung. Jedoch sei „nicht erwiesen, dass er im Jahre 1941 gerade wegen dieser Überzeugung [sic] von nationalsozialistischen Behörden verfolgt wurde. Dieser Verfolgung war er bereits als Emigrant ausgesetzt.“ Ferner wird – davon losgelöst – angeführt, er habe „als deutscher Staatsangehöriger der deutschen Wehrpflicht nicht genügt“ und geschlussfolgert, es sei „darum durchaus möglich, dass er bereits aus diesen Gründen am 16.4.1941 in Haft genommen wurde.“ Damit negiert das Gericht Diefenbachs Handeln und weigert sich, es als das zu benennen, was es ist: nämlich antifaschistischer Widerstand im Exil.
Friedrich Diefenbach legt nach der derart begründeten Abweisung seiner Klage seitens des Landgerichts Frankenthal keine weiteren Rechtsmittel mehr ein. Er stirbt im Alter von 74 Jahren in Kirchheim.
Quellen und Zitate aus
Copy of 3.2.1.1.79030637 – ITS Archives, Bad Arolsen.
Copy of 3.2.1.1./ 79030636 ITS Archives, Bad Arolsen.
Landesarchiv Speyer Bestand J 6 Nr. 8478, Entschädigungsakte Diefenbach
Literaturhinweise
zu den Prämienzahlungen siehe e-guide Arolsen Archives