Der Gedenktag 02. August für die Sinti und Roma ist in Deutschland seit 1996 ein gesetzlicher Gedenktag. 2015 wurde er auch von der EU beschlossen. Jedes Jahr am 2. August gedenken Sinti und Roma ihrer ermordeten Angehörigen. Vor 76 Jahren, am 2. August 1944, wurden die letzten 4.300 Sinti und Roma – vorwiegend Frauen und Kinder, die sich noch im „Zigeunerfamilienlager“ in Auschwitz-Birkenau befanden – ermordet. Genaue Zahlen über die von den Deutschen und ihren Verbündeten ermordeten Roma und Sinti gibt es nicht, Schätzungen gehen von 500.000 Opfern aus. Sie stammten aus Deutschland und sämtlichen besetzten Gebieten Europas, viele von ihnen aus Jugoslawien.
Die Darmstädter Geschichtswerkstatt erinnert 2. August auch in Darmstadt an die in die Vernichtungs- und Konzentrationslager deportierten Sinti-Familien. Nur wenige von ihnen – wie Martin Schekel Wick – kehrten nach Darmstadt zurück.
Im Jahr 2021/22 entstand die Website >>>>Darmstädter Sinti als Opfer des nationalsozialistischen Völkermords. In Kooperation mit der BrechtGeschichtswerkstatt und dem Verein Videobiografien ermöglichte der Künstler Rainer Lind den Jugendlichen und jungen Erwachsenen über ihre Erkenntnisse wie auch ihre ganz persönlichen Erfahrungen während der Projektarbeit zu berichten und selbst Interviews zu führen. Die Umsetzung der Projektarbeit ist so der digitalen Öffentlichkeit zugänglich.
Fokus der Projektarbeit (2021/22)
Die Beschäftigung mit der Geschichte einer Minderheit, die geprägt ist von einer besonderen Stereotypisierung, getragen von Ressentiments und Stigmatisierung durch die Mehrheitsgesellschaft, erfordert einen sprachsensiblen und kritisch-reflexiven Umgang mit den historischen Dokumenten. Angesichts dieser Komplexität der Thematik versuchte die Darmstädter Geschichtswerkstatt gemeinsam mit der BrechtGeschichtswerkstatt 2021/22 an konkreten Biografien aufzeigen, was es für Sinti und Roma bedeutete, von Ausgrenzung, Verfolgung und Deportation bedroht zu sein. Fragen zur Stereotypisierung und zur gesellschaftlichen Konstruktion des „Z.“ wurden hierbei nicht ausgeklammert, sondern untersucht, um das Typische an sprachlich-gesellschaftlichen Diffamierungen und ihre Wirkungsmechanismen zu erkennen und aufzuzeigen. Edierte und unedierte Dokumente, sowohl aus den Bereichen der Wissenschaft und Literatur als auch der staatlichen Behörden, Überlieferungen der Sinti und Roma in Form von Zeitzeugeninterviews und Erinnerungen bildeten die Grundlage der Arbeit und Recherche. Konkret: Mit Blick auf Verfolgung und Deportation im „Dritten Reich“ studierten wir digitalisierte Dokumente aus dem International Center on Nazi Persecution / Bad Arolsen (Arolsen Archives) und Prozess- und Entschädigungsakten v.a. aus den Staatsarchiven Darmstadt und Wiesbaden. Exkursionen zum Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg wie auch eine mehrtägige Studienfahrten zur KZ – Gedenkstätte Dachau – inkl. Workshops im Max-Mannheimer-Studienzentrum Dachau ergänzten die Recherchen in den Archiven in Darmstadt und Wiesbaden.
Während der Recherche und Quellenlektüre ging es uns – neben der intensiven Auseinandersetzung mit den Stereotypen, sprachlichen Codes und gesellschaftlichen Folgen des Antiziganismus sowie der Rekonstruktion von Opferbiografien im Kontext der Verfolgungs- und Vernichtungsprozesse – auch um Fragen der Selbstbehauptung und Identität der Sinti und Roma. So beschäftigten wir uns mit der Geschichte der gesellschaftlichen Konstruktion des „Z.“ in seiner angeblichen „Andersartigkeit“ und „Fremdheit“ – als Gegenüber zur sogenannten „Zivilisation“ bzw. „Kultur“ der Bürgergesellschaft seit dem 19. Jahrhundert – und untersuchten die staatlichen Restriktionen gegen die Minderheit der Sinti und Roma vor 1933. Die Verfolgung und Deportation von Darmstädter Sinti, aber auch Überleben und Widerstand der Verfolgten sowie ihre Zeitzeugenschaft nach 1945 standen dabei im Zentrum der Projektarbeit.
Unterstützung erfuhren wir durch die Zusammenarbeit mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Hessen – vielen Dank. Auch beiteiligten wir uns an Gedenkverstaltungen und zeigten die Ausstellung des Landesverbandes an der Bertolt-Brecht-Schule in Darmstadt. Im Laufe des Projektes wurden wir auch selbst angefragt, Ergebnisse im Rahmen von Fortbildungen oder fachlichen Beratungen vorzustellen.